Historischer Jesus: Seit dem Zeitalter der Aufklärung begann man, mit der neutestamentlichen Überlieferung kritisch umzugehen: Man entdeckte, dass viele Texte vom nachösterlichen Glauben geprägt und nicht auf den historischen Jesus zurückzuführen sind. Es entwickelte sich die historisch-kritische Forschung, die die historisch »echte« Jesusüberlieferung von einer nachträglichen Deutung zu unterscheiden und den Prozess der Entstehung der biblischen Schriften zu analysieren versuchte. In der Geschichte dieser Forschung gab es extrem gegensätzliche Positionen: Zunächst war man sehr optimistisch, das Leben Jesu rekonstruieren zu können (»Leben-Jesu-Forschung«). Dagegen richtete sich die Überzeugung, dass man vom historischen Jesus nichts zu wissen brauche; es reiche die Tatsache, dass Jesus gelebt habe: Denn entscheidend sei der Glaube an den Auferstandenen (wie schon bei Paulus, der ja auch kein Wort über das Leben Jesu schreibt!). In jüngerer Zeit geht man wieder stärker auf »Spurensuche« im Leben Jesu. Es geht dabei nicht um eine Biographie, sondern um die Frage, ob und wie der Glaube an Jesus Christus mit dem historischen Jesus im Zusammenhang steht. Während man zunächst glaubte, den »echten« Jesus vor allem in der Differenz zu seiner Zeit finden zu können (original ist, was weder jüdische noch hellenistische Parallelen hat), geht man heute davon aus, dass Jesus gerade auch als Kind seiner Zeit verstehbar ist. So helfen Kenntnisse z. B. der Archäologie und der (Sozial-)Geschichte des antiken Israel, ein lebendigeres Bild von Jesus zu gewinnen. Auch römische Quellen werden herangezogen; so berichtet Tacitus im Jahre 116 von einem zur Zeit des Tiberius unter Pontius Pilatus gekreuzigten Aufrührer, der einen merkwürdigen Aberglauben begründet habe und dessen Nachfolger »Christen« genannt würden. Ferner werden auch apokryphe Evangelien inzwischen in der Forschung stärker berücksichtigt. Viele Forscher halten Folgendes für konsensfähig: Jesus (aram. Jeschua: Retter) wurde in den Jahren 8 bis 4 vor unserer Zeitrechnung als ältester Sohn von Maria (Mirjam) und Joseph vermutlich in Nazareth geboren (für diesen Ort spricht u. a. sein Name: Jesus von Nazareth – der Geburtsort Bethlehem wäre dann symbolisch zu verstehen: Jesus als Sohn Davids). Seine Muttersprache war Aramäisch. Wahrscheinlich erlernte er das Handwerk seines Vaters und arbeitete zunächst als Zimmermann/Bauhandwerker. Im Alter von ca. 30 Jahren begann er, als Wanderprediger, begleitet von Jüngerinnen und Jüngern, durch Galiläa zu ziehen. Er verkündete die Nähe des Gottesreichs und wirkte als Heiler. In seiner Gesellschaft befanden sich Leute aus »schlechter Gesellschaft« (Zöllner, Prostituierte), aber auch jüdische Gelehrte, mit denen er über die Auslegung der Tora diskutierte. Unterstützung erhielt er u. a. auch von wohlhabenden Frauen. Er geriet in Konflikt mit den religiösen Autoritäten; besonders provokativ war sein Verhalten im Tempel in Jerusalem. In dieser Stadt wurde er unter dem römischen Statthalter Pontius Pilatus ca. 30 n. Chr. hingerichtet – am Kreuz – wie für politische Aufrührer üblich. Die Evangelien erzählen das Leben Jesu aus der Perspektive des Glaubens. Da ist vieles wunderhaft überhöht und ausgeschmückt, aber es ist darum nicht »unwahr«, sondern vielmehr auf eine andere Weise wahr: Es spiegeln sich darin die Erinnerungen an Jesus und die Versuche, sein Leben, seinen Tod und seine Auferstehung »für uns« zu deuten.